Motorschirm Quo Vadis

Motorschirm Quo Vadis: (Von Thomas Keller)
Vor rund zehn Jahren wurde das Erprobungsprogramm für das Motorschirmfliegen in Deutschland ohne nennenswerte Zwischenfälle abgeschlossen. Nach einigem Hin und Her wurde es schließlich 1994 dem Ultraleichtflug zugeordnet und fest im Luftverkehrsgesetz verankert. Genug Gründe für Gleitschirm-Mitarbeiter und DULV-Motorschirm-referent Thomas Keller, sich mit einigen "Urgesteinen" der deutschen Motorschirm-Szene zu unterhalten, um einiges aus der Anfangszeit des Sports sowie dessen Entwicklungstendenzen zu erfahren.


1. Thomas Keller: Bereits Anfang der 80ér Jahre entwickelte der Erfinder Bernd Gärtig seinen ersten Motorschirm. Aber erst gegen Ende der achtziger Jahre wurden die ersten Rucksackmotoren kommerziell gefertigt. Bis zur ersten Ausbildung - damals noch im Rahmen des Erprobungsprogramms - dauerte es noch bis 1993. Seit wann befast ihr euch intensiv mit dem Thema Motorschirm?
Jo Konrad: Der DULV startete mit einem Erprobungsprogramm im Jahre 1992. Nachdem die Motorschirm den gewichtskraftgesteuerten Luftsportgeräten zugeschlagen wurden begann der DULV mit den ersten Musterzulassungen im Jahr 1994.
Michael Kasten: Beim Motorschirmfliegen zeichnete sich Ende der 80er Jahre eine ähnliche Entwicklung ab wie zuvor beim Drachenfliegen: Der Boom im Gleitschirmbereich bedingte eine immer größer werdende Zahl von Flachlandfliegern, die fliegen wollten ohne erst eine stundenlange Anfahrt zum Fluggelände hinnehmen zu müssen. Der Windenstart war auch noch nicht so weit verbreitet, dass er eine echte Alternative war. Rucksackmotoren waren nun auch in größerem Umfang verfügbar, so zum Beispiel von Pago Jet und Fresh Breeze, so dass man nicht mehr auf eigene Basteleien angewiesen war. Wer jetzt flog, flog natürlich schwarz, allerdings meist mit schlechtem Gewissen – der Druck auf den DULV, sich um die Legalisierung zu kümmern, wurde größer.
Markus Müller: Im Jahre 1990 in Barbobas, während eines Winterurlaubes, beschloss ich mir einen Rucksackmotor zu bauen. Der Grund: Mit einem selbstgebauten Gleitschirm flog ich mit wachsender Begeisterung den Mt. Pleasant herunter. Nur rauf war das Problem. Also zu Haus angekommen und mangels bestehender Berge in der Norddeutschen Tiefebene, wurde kurzerhand ein Motor für private Zwecke konstruiert.
Knut Jäger: Ich fliege seit 1993 Motorschirm. 1994 haben wir mit der Ausbildung von Motorschirmpiloten begonnen.
Lars Pongs: Ich habe 1989 mit dem Gleitschirmfliegen begonnen und seither die Entwicklungen im Motorschirmbereich als gebürtiger "Flachländler" immer mit Interesse verfolgt. Als 1994 zwei Motorschirmpiloten über meinen damaligen Wohnort geknattert sing, gab es dann kein Halten mehr.


2. Thomas Keller: Welches waren für euch seit der offiziellen Zulassung des Motorschirmfliegens die größten Meilensteine in der noch recht jungen Motorschirmhistorie?
Jo Konrad: Die Befreiung aller “footlaunched” ULs von der staatlichen Fürsorge in England war für mich eine richtungsweisende Entscheidung. Danach kam in Deutschland der zaghafte Ansatz vom Verkehrsministerium, diese ULs von der Muster- und Verkehrszulassung zu befreien. Leider ist man nicht so weit gegangen wie in England, wo auch der Flugplatzzwang aufgehoben wurde. Aber es muss ja noch ziele geben!
Michael Kasten: Für mich als Ausbildungsreferent beim DULV war es wichtig, einerseits eine sichere und fundierte Ausbildung auf den Weg zu bringen, andererseits die Anforderungen aber nicht zu hoch zu stecken, um so möglichst viele Schwarzflieger zu erreichen. Die zügige Verabschiedung von realitätsbezogenen Ausbildungsrichtlinien und deren Umsetzung in den damals zwar wenigen, aber professionell arbeitenden Schulen hat mit Sicherheit zu einer stetigen Zunahme von lizenzierten Motorschirmpiloten beigetragen.
Markus Müller: Ein Meilenstein war für uns ganz sicherlich die Unterschreitung der Lärmgrenze. Nicht zuletzt durch die veränderte Lärmmessung, denn die ursprünglich zu strenge Meßmethode hätten uns zu merkwürdigen Maßnahmen der Lärmreduzierung gezwungen. Diese Geräte hätten im internationalen Wettbewerb keinen Anklang gefunden. Zu große und schwere Geräte sind eben nicht populär.
Lars Pongs: Die Legalisierung dieser Luftsportart 1994 und die Musterzulassungsbefreiung ab dem 01.07.2001.
Knut Jäger: Meilensteine, die aus dem Weg geräumt wurden, sind eigentlich noch keine bekannt. Wir haben nach wie vor damit zu kämpfen, dass die Motorschirmpiloten auf UL-Plätzen und solchen, die UL integrieren, akzeptiert werden. Die Luftämter haben oftmals keine Erfahrung und Ahnung, was überhaupt ein Motorschirm ist. So werden wir auch schon mal als Schirmdrachen bezeichnet, oder wir erhalten Auflagen, die Flüge mit Barographen zu dokumentieren. Hier ist noch ein sehr großer Handlungsbedarf, damit die Leichtigkeit unserer Fliegerei auch im Alltag umgesetzt werden kann. Der Flugplatzzwang gehört definitiv aufgehoben. Dieses würde zur Entkriminalisierung der Piloten beitragen. Neue, moderne Errungenschaften erfordern manchmal auch neue Wege. Dies sollten die Behörden verstehen. Es bedarf aber dazu einer drastischen Aufklärung.
3. Thomas Keller: In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl der Motorschirmausbildungen nahezu verdoppelt. Wird sich eurer Meinung nach der "Boom" fortsetzen? Wenn ja, welche Faktoren könnte die Zahl der Ausbildungen maßgeblich beeinflussen?
Knut Jäger: Dieser Boom wird sich noch verstärken, wenn das BMV zu seinem Wort steht, und das fliegerärztliche Tauglichkeitszeugnis tatsächlich mit Einführung des neuen Luftrechts abschafft. Dann endlich können wir auch die Menschen glücklich machen, die vom Fliegen schon immer geträumt haben. Durch die Möglichkeit im Doppelsitzer ausbilden zu können, werden insbesondere ältere Personen und auch Frauen endlich in den Fluggenuss mit einem motorisierten Paraglider kommen. Außerdem ist der Sport sehr umweltfreundlich, fallen doch die langen Anreisen in die Flugberge weg. Die Wiese zum Starten und Landen ist im wahrsten Sinne des Wortes "vor der Haustür". Viele unserer Fliegerfreunde haben wir motiviert, sich eigene Gelände zuzulassen. In 95 % der Fälle hat es auch geklappt.
Michael Kasten: Ich bin auch fest davon überzeugt, dass sich der Boom fortsetzen wird, und das aus zwei Gründen: Erstens wird die Ultraleichtfliegerei immer aufwendiger und teurer, das Motorschirmfliegen wird dagegen die einfachste und preisgünstigste Form bleiben, motorisiert in die Luft zu kommen. Zweitens wird nach in Kraft treten der Änderung der LuftPersV die Theorie- und Praxisausbildung vereinfacht werden, ohne dass der Sicherheitsaspekt leidet – um sicher Motorschirm fliegen zu können, muss ich zum Beispiel nicht mehr wissen, welche Funktion Klappen haben, wenn sie auf –4° gerastet werden.
4. Thomas Keller: Die umfangreiche Ausbildung und der Flugplatzzwang sind einige Punkte, die Interessierte oft von einer Motorschirmausbildung abhalten. Darüber hinaus sorgt das flugärztliche Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 in der Szene für Unruhe. Ist künftig mit Erleichterungen zu rechnen und was ist dran an der Diskussion um die flugärztliche Untersuchung?
Michael Kasten: Was die Tauglichkeit betrifft, arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Befreiung von der Pflicht zur Vorlage eines fliegerärztlichen Tauglichkeitszeugnisses – so, wie sie noch im letzten Entwurf der Änderungsverordnung vorgesehen war – doch noch festzuschreiben. Der Flugplatzzwang ist in der Tat kontraproduktiv für die Motorschirmfliegerei und ist unter Sicherheitsaspekten nicht wesentlich. Die Neigung größere Strecken mit dem Motorschirm zu fliegen und dann auf einem offiziellen zugelassenen Platz zu landen, der die nötige Infrastruktur bietet, wird jedoch zunehmen. Der DULV wird sich daher verstärkt um den Wegfall des Flugplatzzwanges bemühen, andererseits müssen die Piloten aber so ausgebildet sein, dass sie im Mischverkehr an einem Flugplatz bestehen können
Jo Konrad: Ich schließe mich den Aussagen von Michael an.
5. Thomas Keller: Als Beauftragter des Bundesverkehrsministeriums kümmert sich u.a. der DULV um die Belange des Ultraleichtflugs in Deutschland. In welchen Punkten seht Ihr für den Motorschirmsport den dringlichsten Regelungs- bzw. Handlungsbedarf?
Michael Kasten: Das Motorschirmfliegen – gleichgültig ob Fußstart oder MS-Trike - muss als eigenständige preiswerte Flugsportart erhalten und ausgebaut werden.
Motorschirmfliegen ist nicht als bloßer Einstieg in die UL-Klasse misszuverstehen. Die geänderten Rechtsverordnungen schaffen die Voraussetzung für eine weitgehende
Befreiung von staatlichen Einengungen. Wir als Verband , aber auch jeder Pilot ist aufgerufen, diese Spielräume so zu nutzen, dass Motorschirmfliegen auch in Zukunft
sicher und preiswert bleibt.


Jo Konrad: Flugplatzzwang: Wir müssen irgendwie erreichen, dass weitere Fluggelände für Motorschirme erschlossen werden bzw. Bestimmungen erarbeiten, mit
denen solche Fluggelände einfacher erschlossen werden können.Ausbildung: Das Fehlen schwerer Unfälle zeigt mir, dass die Ausbildung der Piloten
auf einem hohen Niveau stattfindet. Neue Regularien sollten weitere Freiheiten bringen aber den Sicherheitsstandard erhalten.
Technik: Was für die Ausbildung gilt, bestimmt auch die Richtung in der Technik.


Thomas Keller: Wie sehen das die anderen?
Knut Jäger: Wie bereits erwähnt, Abschaffung des Flugplatzzwangs und des Flugarztes. Unsere Motorschirme, ob fußstartfähig oder als Trike, werden immer
langsam und gemütlich durch die Luft schweben. Orientierung verloren? Dann kannst du am Ortsschild vorbeifliegen und schauen, wo Du bist. Das ist spaßig gemeint,
drückt aber genau die Art unserer Fliegerei aus.


Markus Müller: Nichts im Leben ist und wird optimal sein. Deswegen sind alle die von Thomas angesprochenen Punkte (Frage 4) nachbesserungswürdig. Am dringlichsten sehen ich aber die Abschaffung des Flugplatzzwanges, eventuell nach dem Vorbild der Ballone. Die Ausbildung steht einmal am Anfang, aber das tägliche Suchen nach dem geeigneten Flugplatz hält die meisten Flugwilligen davon ab.
Lars Pongs: Legales Motorschirmfliegen ist in Deutschland durch den Flugplatzzwang für viele Piloten nahezu unmöglich. Die sehr langsamen Motorschirme können entweder gar nicht, oder nur sehr schlecht in den Platzrundenbetrieb integriert werden und die Neuzulassungen von Fluggeländen sind zu kompliziert. Hier besteht meiner Meinung nach auch der größte Handlungsbedarf.


6. Thomas Keller: Derzeit befindet sich das doppelsitzige Motorschirmfliegen mit dem Trike im Erprobungsprogarmm. Wie ist der aktuelle Stand dazu und wird sich diese Methode für die Ausbildung durchsetzen?
Michael Kasten: Doppelsitzige Schulung von „Fußgängern“ wird derzeit bei G. Büttner erprobt. Erfolge zeichnen sich ab, das Erprobungsprogramm ist
aber noch nicht abgeschlossen. Ich persönlich glaube, dass das MS-Trike bei Schulung und Fliegen eine immer größere Rolle spielen wird – gerade auch in Hinblick auf die
zukünftigen Möglichkeiten des Passagierfliegens.Knut Jäger: Ich setze mein Augenmerk sehr stark auf doppelsitzige Trikes der Marke
Sunflightcraft (www.sunflightcraft.com). Hier wird sich eine neue Ära des "Ballonfliegens" ergeben. Businessflüge früh morgens und abends, oder im Winter, wie
es die Ballonfahrer machen, werden so ein Trike finanzierbar machen. Und es wird nur mit Motorsystem funktionieren, die genügend Power haben, z.B., wie der Rotax 582.
Die Ausbildung im Gerät ist obligatorisch. Kein mühevolles "den Hang hinauf" mehr.


7. Thomas Keller: Der Silex von Fresh Breeze war das erste Gleitsegel, dass ausschließlich für das motorisierte Gleitschirmfliegen zugelassen wurde. Werden künftig weitere Schirme dieser Art folgen, oder liegt der Trend eher bei kombinierten Zulassungen für Berg- und Motorschirmflug?


Markus Müller: Der Bergschirm wird wohl immer zum Motorschirmfliegen genutzt werden. Dies geschieht aber aus rein pragmatischen Gründen. Zwei Schirme kann sich
nicht jeder leisten. Also muß der Kompromiss geschlossen werden. Motor und Bergflug mit einem Schirm. Der Anteil an reinen Motorschirmpiloten wird aber
weiterhin steigen. Selbstverständlich wird es Weiterentwicklungen geben für reines Motorfliegen. Das ist unser Metier.


Lars Pongs: Ich denke auch, es gibt auf jeden Fall Bedarf für weitere Schirme dieser Art. Die Anforderungen an einen Motorschirm sind sehr unterschiedlich von den
Anforderungen an einen Thermikflügel. DHV – zugelassene Schirme, die für das motorisierte Fliegen „zweckentfremdet“ werden stellen immer einen Kompromiss dar,
welcher natürlich auch seine Vorteile hat. Im Flugzeugbau würde man hier von einem Motorsegler sprechen.


Knut Jäger: Der Silex war und ist als Motorschirm richtungsweisend. Wer nur Motorschirm fliegen will, findet hier den optimalen Partner. Allerdings gibt es auch
sehr viele DHV-Schirme, die hervorragend für das Motorschirmfliegen geeignet sind. Referenzgerät für Fußstart ist der Swing Arcus bzw. der Powerplay. Für Trikes
favorisieren wir ganz klar Nova X-Akt wegen seiner starken Rolldämpfung und seines hervorragenden Aufstellverhaltens. Außerdem gibt es im DHV-2er Bereich von Ozon
und Firebird Schirme, die für Fußstarter Dynamik und Handling "wie beim Bergfliegen" vermitteln. Airwave hat mit dem Explorer (auf Basis des Sport) bereits
einige Höheweltrekorde erzielt. Ich kann den Herstellern nur empfehlen, allein im Rahmen des Kundenservices und eines perfektem Images mindestens die DHV-1er und
1-2er zur Zulassung zu geben. Es stehen 30 000 potentielle Kunden (und noch mehr) in den Startlöchern.


Angaben zu den Personen:
Jo Konrad ist einer der Pioniere des UL-Flugs und 1. Vorsitzender der Vorstands. Eine Motorschirmausbildung steht in seinem fliegerischen Relevant Set.
Michael Kasten ist beim DULV zuständig für das Ressort Ausbildung.
Markus Müller ist Mitinhaber der Firma Fresh Breeze, die sich seit 1992 mit dem Bau vom Motorschirmantrieben beschäftigt. Das Unternehmen ist Marktführer in Deutschland und eines der führenden Unternehmen weltweit.
Knut Jäger ist Inhaber und Leiter der Harzer Gleitschirmschule. Seine Schule befast sich seit 1994 mit der Ausbildung von Motorschirmpiloten. Die meisten Motorschirmpiloten "durchwanderten" eine Ausbildung bei ihm. Knut blickt bereits auf mehr als 20 Jahre Flugerfahrung im Drachenfliegen und 16 Jahre im Gleitschirmfliegen zurück. Er fliegt Motorschirm seit 19993. Er ist darüber hinaus gewählter Vertreter der Flugschulen des DHV und beratendes Mitglied in verschiedenen Ausschüssen und Kommissionen.
Lars Pongs ist seit Herbst 2001 Mitarbeiter der Firma Swing GmbH und dort u.a. für die Entwicklung und den Vertrieb von Gleitsegeln für das Motorschirmfliegen zuständig. Er fliegt Motorschirm seit 1994 und hat an diversen nationalen und internationalen Motorschirm-Meisterschaften teilgenommen..
Thomas Keller fliegt seit 1989 Gleitschirm und seit 1993 Trike und Motorschirm. Seit 1998 hat er an allen offiziellen nationalen und internationalen Motorschirm-Meisterschaften teilgenommen. Seit Herbst 2002 kümmert er sich in den Reihen des DULV zusätzlich um die Belange der Motorschirmpiloten.