Im Himmel über Heinsberg... von Klaus Hennecke

Im Himmel über Heinsberg... von Klaus Hennecke


Ein Erinnerungsprotokoll über das Seelenleben eines angehenden Motorschirmpiloten.


(kdh, 30.8.2006) Die (UL/LL-)Theorie seit Monaten in der Tasche, geht es mit der praktischen Ausbildung nur schleppend voran. Das Wetter spielt einfach nicht mit. Und so heißt es für alle Motorschirm-Aspiranten Kleckern statt Klotzen. Aber manchmal führen auch viele kleine Schritte zum Ziel, so dann auch beim praktischen Ausbildungsprogramm. Auf dem langen Marsch dorthin zweifele ich freilich zuweilen, ob das der richtige Sport für mich ist. Mein Freiberuflerdasein und meine 7-köpfige Familie lassen persönlich wenig freie Zeit. Doch: Ich will fliegen (lernen)! Zudem spendet mein (nebenbei bemerkt absolut empfehlenswerter) Fluglehrer Manuel Angstmann im Wochentakt Trost. Und das, obschon vor allem er unter den oft zu hohen Windgeschwindigkeiten und zu starken thermischen Entwicklungen im Jahr 2006 leidet. So ein mieses Jahr für Motorschirmflieger habe er in seiner ganzen Fliegerlaufbahn noch nicht erlebt. Ich an seiner Stelle wäre ob des Ausbildungsstaus vermutlich verzweifelt, aber er lässt sich nichts anmerken und versprüht Optimismus. "Wir packen das!" Nur - wann? Noch in diesem Leben? Aber diese Gedanken behalte ich für mich. Und siehe da: Den Optimisten gehört die Welt!
Samstag Nachmittag kommt endlich der erlösende Anruf. "Morgen früh, 9.00 Uhr ist Prüfung. Wir treffen uns um 8 (zumindest für Flugschüler eine magische Zahl)". Treffpunkt ist der Flugplatz Heinsberg. Von Olpe braucht es rund 1,5 Stunden bis dorthin. Allein der Gedanke!
Schlafgewohnheitsmäßig bin ich eine Eule. Oder anders ausgedrückt: Ich komme schlecht ins Bett und hasse folglich frühes Aufstehen; vor allem an Sonntagen, wenn schon der erste Blick aus dem Fenster einen tristen Tag verspricht. So auch am Prüfungstag: Düster gefärbte Wolkentürme bedecken den Himmel. Aber was hilft es? Wider die eigene Natur stehe ich also um 6 Uhr auf, dope mich mit 3 Tassen aus dem Saeco-Automaten und fahre um 6 Uhr 30 Uhr los.
Unterwegs regnet es, was meine gedämpfte Stimmung nicht gerade belebt. Doch kurz vorm Ziel klart es auf. Und so langsam erwachen auch die anderen (zum Autofahren nicht zwingend benötigten) Lebensgeister.
Alle sind da - sechs Rucksackpiloten, zwei Triker und unser Fluglehrer - nur der Prüfer fehlt. Besorgte Blicke nach oben. Ob das Wetter hält? Die Uhr zeigt 9.30 Uhr - immer noch nix. Doch dann sichten wir endlich ein geschlossenes Cabrio-Faltdach auf dem Feldweg zwischen den umliegenden Maisfeldern. Hurra! Es kann los gehen. Es wird aber auch Zeit. Denn nun schickt uns auch der Himmel über Heinsberg ein paar Vorboten seines Sonntagsprogramms in Form von erbsengroßen Regentropfen.
Unser Zeitfenster für die Abnahme der Prüfung schrumpft. Zum Glück entscheidet sich der Prüfer für eine kurze Ansprache. "...Alles klar?" Wird schon schief gehen, denke ich mir und bekomme die Startnummer 3. Meine Füße sind mittlerweile quacke naß. Und es frischt zusehends auf - Südwind. Der erste Rucksackpilot ist ruckzuck in der Luft. Und Nr. 2 steht auch schon am Start. Also heißt es für mich, schnell den Schirm auslegen, Leinen sortieren, das Trike postieren, Schirm einhängen und dann der obligate Vorflug-Check: Propeller, Korb,... alles ist an seinem Platz und korrekt montiert. Spritmenge reicht, Sprithahn ist offen und auch der belüftete Tankdeckel sitzt fest.
Nr. 1 landet, Nr. 2 hebt ab. Jetzt brauch ich nur noch einen passenden Helm - XXL. Das einzige verfügbare Exemplar des Tages hat der Auftaktprüfling bereits an Startnummer 4 weitergereicht. Dem würde auch XL reichen, aber wir haben es halt alle eilig. Also hin mit meinem deutlich zu kleinen XL-Helm und zügig getauscht. Sorry, für die Störung!
Dann geht´s weiter im Takt: Helm auf, Kinnriemen schließen, Platz nehmen. Gurt und Rettung fixieren - o.k. Der Fluglehrer wirft den Motor an. Ein willkommener Service. Doch dann: Der Schirm richtet sich von alleine auf. Scheiße, denk ich mir. Was hast Du gelernt? Reflexartig ziehe ich beide Bremsen bis zum Anschlag und das eigenwillige Stoffgebälk kommt wieder halbwegs perfekt hinter mir zu liegen. Glück gehabt! Und noch besser - kein Schnursalat. Also direkt noch mal.
Ich gebe kurz etwas Gas, und der Schirm streckt sich in die Breite. Gut! Ich schaue zum Fluglehrer. Der nickt aufmunternd! Unverzüglich gebe ich den A-Leinen einen kaum nennenswerten Daumenimpuls und das Tuch steigt, steigt, steigt... und steht innerhalb weniger Wimpernschläge genau über mir. Jetzt bloß nicht vorschießen oder seitlich wegkippen lassen. Anbremsen! Kontrollblick! Leichte Korrektur - Perfekt! Klaus, denke ich mir, Du hast bei Manuel echt was gelernt.
Aufgeregt bin ich trotzdem. Vielleicht liegt´s aber auch an der unaufhaltsam aufwärts kriechenden Kälte, jedenfalls richte ich das Bugrad mit tendentiell zittrigen Beinen gerade. Blick nach Vorne, die Bahn ist frei. Jetzt oder nie! Ohne weiteres gedankliches Zutun gebe ich Vollgas und bin nach wenigen Metern in der in der Luft!
Ein (fast) perfekter Start! Nun heißt es, Höhe gewinnen, Durchatmen und Entkrampfen. Das ist auch nötig. Ich bin - wie immer - erst so gegen 1 Uhr ins Bett und hab mich dann in den Schlaf gelesen. Was gäbe ich jetzt nicht alles für einen Genußflug. Doch bei den Wetterverhältnissen hat der Gedanke keine Chance? Konzentration, bitte lass mich jetzt nicht im Stich. Denn es ist ein recht ruppiger Himmelsritt. In schätzungsweise 100 m Höhe steuere ich links herum. Der Wind bläst jetzt von rechts und treibt mich zurück Richtung Flugplatz. Der nächste Richtungswechsel folgt also zügig und bedeutet Rückenwind. Und dann wird es auch schon höchste Zeit für die geforderte 8. Die fliege ich wie von einem 2-jährigen Rechtshänder mit links gemalt - so zumindest mein Eindruck. Es ruckelt und schaukelt. Ich frage mich: Wer fliegt hier mit wem? Der aufböende Wind und zwei heftige Heber lassen mich fast verzweifeln...
Egal, funkt die Großhirnrinde, kannst eh nichts mehr ändern, und mein Frontallappen beschwichtigt ebenfalls: et kütt, wie et kütt, Klaus bleib cool, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Welch passende Assoziation in so einer Situation! Und was ist mit Anfängern? Schluß damit! Ich gestatte meinen Synapsen keinen weiteren Freiraum für solche Gedankenspiele. Und so schaukele ich das Trike halbwegs konzentriert weiter Richtung Position. Der Rückenwind treibt mächtig. Damned: Muss mir ausgerechnet mein Prüfungsflug eine erste Vorstellung davon vermitteln, was man unter aktivem Fliegen versteht? Ich arbeite mit den Armen wie ein Hampelmann. Von unten sieht das vermutlich ziemlich verwegen aus. Aber das kostenlose Muskeltraining hilft: meine Fluglage bleibt während des Gegenanflugs ansehnlich stabil - glaube ich zumindest.
Bemerkenswert bei alledem: Die Zeit vergeht wie im Flug. Und während ich über diesen zweiten assoziativen Volltreffer innerlich doch schmunzeln muss, verpasse ich fast den Einstieg in den Queranflug. Fast! Also jetzt nur noch zweimal 90° links herum und dann bin ich ready for landing. Gedacht, getan - zu früh gefreut!
Der Prüfer sprach von Anflug mit Standgas. Unmöglich! True air speed wird glatt negativ. Und auf meinen 1. Rückwärtsflug habe ich heute nun wirklich keinen Bock. Der Prüfer hatte das wohl geahnt. Wie von ihm im Briefing für diesen Fall aller möglichen Fälle empfohlen, mäandere ich mich also mit dezent dosierter Motorunterstützung, wild entschlossen, immer schön quer in Richtung Landequadrat - links, rechts, links, rechts, links... Nach der 5ten Anschleichkurve denke ich - jetzt passt´s.
Und tatsächlich: Es wird eine (fast) perfekte Punktlandung. Motor aus. Ausrollen - ist nicht. Bremsen. Der Schirm senkt sich gemächlich, mittig hinter das Trike. Und nun? Könnte direkt wieder starten. Stattdessen aber suchen meine Blicke den Augenkontakt zum Prüfer. Doch der ist mit seinen Sinnen schon beim nächsten UL-Aspiranten. War wohl nix, denke ich mir.
Doch dann kommt Manuel mit einem breiten Grinsen auf mich zu: "Hast Du super gemacht!" Und die 8? "Wie will man bei dem Wind eine perfekte 8 fliegen?!". Also doch bestanden! Und wer weiß, vielleicht kann ich mich - Fliegerei sei Dank- sogar noch für´s Frühaufstehen begeistern...?
Postskriptum: Es haben alle bestanden!